Binsenflechten ist Knochenarbeit

Tradition: In Ahlerstedt entstehen noch echte Binsenstühle. Die typisch norddeutschen Möbelstücke werden auch im Süden der Republik immer beliebter. Marita Krüger kommt kaum nach.

In der Werkstatt

In der Werkstatt

In der Werkstatt

In der Werkstatt

In der Werkstatt

Ahlerstedt. Marita Krüger ist schlank, zart. Sie ist gerade mal 1,60 Zentimeter groß, und doch verrichtet sie eine körperlich harte Arbeit. Eine Arbeit, die außer ihr kaum noch jemand macht. In ihrem Haus am Kleinen Damm 18 in Ahlerstedt stellt sie Binsenmöbel her. Und das schon in vierter Generation. Marita Krüger ist durch Heirat in das Handwerk hineingewachsen. Körperlich schwer sei die Arbeit wirklich, sagt sie. Aber wer ihr zusieht, spürt sofort ihre Freude am Umgang mit dem Material Binsen.

In der Werkstatt des Hauses lehnen die Binsen an der Wand. Sie sind an die zwei Meter hoch, in der Haseldorfer Marsch im südlichen Schleswig-Holstein wurden sie geerntet. Vor der Verarbeitung werden die Blüten am oberen Teil abgetrennt. Danach müssen die trockenen Binsen über Nacht eingeweicht und ä der Bearbeitung immer wieder eingesprüht werden. Sie müssen elastisch sein, sonst brechen sie, wenn sie zur Sitzfläche von Stühlen, Bänken oder Fußbänken verarbeitet werden.

Binsenstühle gehören immer noch in viele ländliche Wohnungen und Häuser. Sie sind äußerst rustikal, praktisch und haltbar. Dabei sind Binsenmöbel nicht etwa nur etwas "Norddeutsches". Seit Marita Krüger mit ihrer Ahlerstedter Werkstatt im Internet vertreten ist, kommen Anfragen aus dem Norden genauso wie aus Süddeutschland. Die Kunden schicken dann schadhafte Stühle und einlegbare Sitzflächen. Das macht deutlich, daß es nur noch wenige Betriebe im Lande gibt, die sich auf diese Technik verstehen.

Ein Lehrberuf ist das schon lange nicht mehr, sagt die Ahlerstedterin. Sie weiß nicht einmal, ob es im Hause Krüger einmal eine fünfte Binsenflechter-Generation geben wird. Mein Sohn versteht diese Arbeit, sagt Marita Krüger, aber er hat einen anderen Beruf gewählt. Und er wohnt nicht in der Nähe.

In der Werkstatt in Ahlerstedt stehen einige Stühle. Herrliche Stücke mit Schnitzereien an der Lehne, die ein Tischler aus dem Alten Land hergestellt hat. Von der Ahlerstedterin stammen die Sitzflächen. Auch schlichte Stühle sind darunter. Oft sind es zwei oder vier gleiche Exemplare, die nach der Reparatur wieder am Eßtisch oder auf der Diele ihren Platz haben werden. Manche Stühle werden gebracht, andere kommen per Post. Ich weiß gar nicht, wo dieser Ort liegt, sagt die kleine Frau und blickt auf den Begleitbrief, der beim Stuhl liegt.

Wer ihr einen Stuhl oder eine Bank zur Reparatur bringt, der muß Zeit mitbringen. Ich schaffe nicht allzuviel, sagt sie fast entschuldigend. Für eine neue Sitzfläche benötigt sie einen Tag - aber oft auch zwei Tage. Marita Krüger, die an einem in ihrer Familie entwickelten Gestell mitten im Raum arbeitet, verweist darauf, wie körperlich schwer das Beflechten ist. Man braucht Kraft und muß ganz genau arbeiten. Und das mit einfachen Handwerkzeugen wie Schraubenzieher, angespitzten Holzstücken und Klemmen. Früher wurde das alles im Sitzen gemacht, erinnert sich die Flechterin. Das war noch anstrengender. Sie arbeitet meist im Stehen. Das ist einfacher - aber immer noch schwer.

Doch wenn in ihrer Werkstatt in Ahlerstedt auch mehrere Möbel darauf warten, daß sich Marita Krüger ihrer annimmt, so sagt sie: Reich werden kann man damit nicht. Die Zeit, die ich investiere, kann ich nicht in Rechnung stellen.

(Quelle: Hamburger Abendblatt)